2009 / ergänzt 2012 (Fossillisten). Uwe-M. Troppenz: „Paradies im Ordoviz – Die Fossilien der Bobcaygeon/Verulam Formation“, 20 Seiten, 50 fast durchgängig farbige Abbildungen, A5-Format, mit englischer „summary“. - Der Autor beschreibt erstmals die faszinierende Welt des mittleren Ordoviziums von Ontario/Kanada mit geradezu paradiesischen Zuständen für die Unterwasserwelt. Ur-Seeigel, Seelilien, Seesterne, Trilobiten, Korallen, Bryozoen, Schnecken usw. werden in ihrer Lebensgemeinschaft dargestellt, ebenso wie die Bedingungen, unter denen sie lebten. Die Erhaltung der Fossilien in den ruhig abgelagerten Schichten ist einzigartig. Fundorte werden angegeben (sind aber teilweise nicht mehr zugänglich). – Bisher gibt es keine deutschsprachige Beschreibung dieser Formation, auch englische Literatur ist verstreut und schwierig zu bekommen.
The fossils of the Bobcaygeon and the Verulam Formation
Paradise in Ordovician times
Summery
The trilobites of the middle Ordovician Bobcaygeon formation in Ontario/Canada (roundabout 460 million years before) lived in a quiet, flat, subtropical ocean between sea lilies, Cystoidea, Edrioasters - similiar to sea urchins -, starfishes, brachiopods, snails, bryozoans, corals, worms and so on, but not much cephalopods. This world like a real paradise is described here from the upper Bobcaygeon to the lower Verulam formation. After this time, until the upper Verulam formation, the strata show a deeper ocean with a gap of fossils, especially concerning the sea lilies. The fossils on the pictures in this book were found at the lake Simcoe (“Simcoe Group”) in quarries near the town Brechin.
Paradies im Ordoviz
Fossilien der Bobcaygeon/Verulam-Formation in Ontario/Kanada
Uwe-M. Troppenz
Dieser Beitrag ist aus einem Vortrag auf der "1. Tagung für Trilobitensammler" im Berliner Museum für Naturkunde / Humboldt-Universität mit dem Titel: "Die kanadische Bobcaygeon- Formation und ihre Trilobiten" hervorgegangen - erweitert, hier und da präzisiert.
Lebewesen, die vor vielen Millionen Jahren lebten, zu finden oder aus ihrem steinernen Gefängnis zu holen, in der Hand halten und betrachten zu können, hat mich schon von Kindheit an fasziniert. Und ich wollte wissen, welche Umwelt damals vorhanden war und wie die Welt vor uns gestaltet worden ist.
Darum bin ich vor allem an palökologischen Themen interessiert und an Zeitaltern, die sich nur wenig mit unserem vergleichen lassen. Umso offener war ich für eine Formation, auf die ich zufällig beim Ankauf einiger Fossilien stieß, und die sich mir bei näherer Betrachtung in ihrer Ungestörtheit und relativen Vollständigkeit als eine ganz eigene Welt erschloss: Die mittelordovizische Bobcaygeon-Formation und die darüber liegende Verulam-Formation von Ontario in Kanada vor rund 460 Millionen Jahren, unteres Caradoc.
Literatur über diese Formationen zu bekommen, ist nicht leicht. So habe ich meine Informationen zum erheblichen Teil von den Sammlern Douglas McAvoy und John Bartle, beide aus Commanda/Ontario.
Interessant in Bezug auf die Umwelt jener Zeit ist das englischsprachige Buch "Fossil Crinoids" von Hans Hess, Carlton Brett und anderen, das zwar schwerpunktmäßig die Crinoiden und etwas stiefmütterlich die übrigen Fossilien behandelt, doch einen guten Einblick in die Lebenssituation der damaligen Fauna vermittelt. Herausgeber ist die Cambridge University Press. Verwendet habe ich noch die Bücher "Palökologie" (W.S. McKerrow bei Kosmos/Franckh) und "Historische Geologie" (Brinkmann/Krömmelbein bei Enke).
Trilobiten, Seelilien,
Seeigel und Korallen…
Ontario im Südosten des Landes ist mit mehr als 12 Millionen Einwohnern die bevölkerungsreichste Provinz Kanadas. In seinem östlichen Teil befinden sich die ordovizischen Schichten auf dem präkambrischen Schild. Da die Fundorte zwischen dem Lake Simcoe und den Kawartha Lakes liegen, spricht man auch von der "Simcoe Group".
Die Steinbrüche befinden sich nahe den Städten Bobcaygeon (namengebend), Kirkfield, nach der das "Kirkfieldium" benannt ist, und Brechin, wo meine kanadischen Freunde unterwegs sind. Genannt wurden mir die Steinbrüche James Dick Quarry und Carden Quarry nordöstlich von Brechin. Während Carden Quarry zur Bobcaygeon-Formation gehört, erschließt James Dick Quarry die darüber liegende Verulam-Formation. Leider ist der Steinbruch Carden seit Herbst 2009 für die Sammler offiziell nicht mehr zugänglich, so dass die kanadischen „Fossilienjäger“ derzeit auf der Suche nach anderen Bobcaygeon-Aufschlüssen sind.
Die Steinbrüche von Brechin und Umgebung schließen gerade den Übergang von der oberen Bobcaygeon-Formation zur unteren Verulam-Formation auf. Dort werden vor allem äußerst schöne komplette Seelilien gefunden. Die Fauna ähnelt sich sehr und übertritt oft fast nahtlos diese Grenze. Insofern geht es hier um diesen Übergangs-Abschnitt des mittleren Ordoviziums von Ontario.
Was die Trilobiten betrifft ist der Ceraurus besonders typisch. Während man im norddeutschen Geschiebe schon froh sein kann, mal ein einigermaßen brauchbares Cephalon zu finden, entdeckt man in den Schichten der Bobcaygeon- und Verulam-Formation doch recht oft gut erhaltene komplette Stücke mitsamt den Wangen- und Schwanzstacheln. Sie erlaubten diesem Trilobiten, sich über feinkörnigem Sediment zu halten und nicht einzusinken bzw. sich auch schwebend schwimmend fortzubewegen, die Lenkung zu erleichtern und die Balance zu halten. Die Verteidigungsfunktion kommt dazu.
Bereits 1919 berichtet Rudolf Richter über das Schwimmverhalten der Trilobiten und Walcotts grundlegende Beobachtungen an Calymene senaria und Ceraurus pleurexanthemus ("Vom Bau und Leben der Trilobiten", I. Das Schwimmen", Senckenbergiana Bd. 1, Nr. 6). Demnach nutzten sie ihre "durch Borsten verbreiterten Außenäste des Krustazeenspaltfußes" zum Schwimmen, und zwar "beinrudernd ausgestreckt nach vorn". Nicht ausgeschlossen werden "unterstützende Bewegungen des Trilobitenschwanzes nach unten".
Offenbar war Ontario eine gute Gegend für Trilobiten, denn sie tauchen in mannigfaltiger Gestalt mit vielen Gattungen und Arten auf. Mir bekannt:
(Alle Fossilien: Sammlung Uwe-M. Troppenz, Fotos: Regina Troppenz)
Ceraurus pleurexanthemus
Ceraurus globulobatus
Ceraurus plattinensis
Ceraurinus marginatus
Bufoceraurus sp.
Gabriceraurus dentatus
Flexicalymene senaria
Isotelus sp.
Calyptaulax calicephalus
Raymondites spiniger
Encrinuroides vigilans
Nanillaenus sp.
Ectenaspis homalonotoides
Bumastus sp.
Bumastoides bellevillensis
Failleana indeterminata
Hemiarges paulianus
Xylabion sp.
Dolichoharpes sp. (extrem selten)
Amphilichas sp. (gerade neu entdeckt)
Mit wem waren diese Trilobiten vergesellschaftet?
Wir finden wundervolle Seelilien, meist noch in kompletter oder nahezu kompletter Erhaltung, sogar ganze Seeliliengruppen, wie:
Cupulocrinus humilis (die häufigste Seelilienart)
Cupulocrinus gracilis
Cupulocrinus jewetti
Praecupulocrinus conjugans
Daedalocrinus bellevillensis
Cleiocrinus sp.
Iocrinus sp.
Protaxocrinus sp.
Illemnocrinus sp.
Anomalocrinus sp.
Hybocrinus conicus
Carabocrinus vancortlandti
Reteocrinus sp.
Porocrinus sp.
Cremacrinus sp.
Diabolocrinus sp.
Archaeocrinus pyriformis
Neoarchaeocrinus sp.
Clipodendrocrinus sp.
Cincinnaticrinus sp.
Isotomocrinus tenuis
Glyptocrinus ramulosus
Periglyptocrinus billingsi
Ectenocrinus somplex
Hinzu treten Cystoidea wie:
Pleurocystites squamosus (Fundbericht obere Bobcaygeon-Formation)
Pleurocystites filitextus
Amecystites sp. (Fundbericht untere Verulam-Formation)
Homocystites anatiformis
Hybocystites sp.
Myeinocystites sp.
Glyptocystites multiporus
Amygdalocystites florealis
Ateleocystites sp.
Äußerst bemerkenswert sind die relativ zahlreichen Exemplare von Edrioasteroiden, nicht ganz zutreffend auch "Ur-Seeigel" genannt, weil sie ja nicht nur mit ihnen verwandt sind. Hier kann man ebenfalls die unglaubliche Erhaltung der meisten Exemplare bewundern.
Während im deutschen Devon und Karbon zum Beispiel händeringend nach einigen Plättchen oder sonstigen Fragmenten von Edrioasteroiden gesucht wird und das Sammlerglück äußerst selten ein fast ganzes Stück als besonderen Schatz aus dem Gestein zaubert, finden sich in der oberen Bobcaygeon-Formation und darüber Prachtstücke in vollständiger Erhaltung, manchmal sogar mehrere zusammengeschwemmte Exemplare. Da der Plattenverband dieser Tiere noch ganz flexibel, eher lose war, ist diese Erhaltung meines Erachtens sehr erstaunlich und kann nur auf besondere Umweltbedingungen hinweisen.
Mir bekannt:
Edrioaster (Edriophus)
levis und bigsbyi
Thresherodiscus ramosus
sowie die kleine
Isorophusella (Cryptogoleus) incondita und chapmani,
dazu
Foerstediscus grande
Weitere Zeitgenossen der Bobcaygeon- und Verulam-Trilobiten sind:
Seesterne
Stenaster salteri
Salteraster huxleyi
Hudsonaster sp.
Brachiopoden
Zygospira modesta
Dalmanella rogata
Platystrophia sp.
Lingula sp.
Schnecke
Cyrtolites sp.
Bryozoen
vergleichbar Fenestella sp. (inkrustierend)
Heterotrypa sp.
Prasopora sp.
Constellaria sp.
die korallenähnliche
Batosoma sp.
Tabulatenkorallen
Tetradium approximatium
und favosites-ähnliche Tabulaten
Wurmspuren
Trypanites sp.
Cephalopoden
ganz selten Bruchstücke von
Orthoceras sp.
Problematikum
(?) Zitteloceras sp.
Paradies im Ordoviz -
aber nicht immer…
Von den Fossilien und ihrer Erhaltung sowie der gleichmäßigen Schichtung - nur gelegentlich irritiert von der unregelmäßigen präkambrischen Basis - lässt sich ablesen, dass es sich wohl um ein ruhiges Gewässer mit wenig Fressfeinden der Trilobiten und der Seelilien gehandelt hat. Ein Paradies, sozusagen.
Die Situation war folgende: In der Bobcaygeon-Formation präsentierte sich die Meeres-Landschaft als seichte, warme Schelfregion. Wie schon gesagt, offenbar ein paradiesischer Zustand: Die "Turnstone Geological Services" aus Campbellford/Ontario untersuchten die Kalksteinschichten der Gull River-, Bobcaygeon- und Verulam-Formation 1998 und kamen zu einem interessanten Schluss: Der Anteil der Biomasse stieg von Gull River über Bobcaygeon bis Verulam von 15 auf 50 Prozent!
Es lebte sich also gut für die Trilobiten und ihre Nachbarn in den großen Seelilienfeldern am Grunde eines warmen, seichten Schelfmeeres nahe der Küste des Iapetus-Ozeans.
Die meisten Autoren stimmen darin überein, dass dort eine subtropische Bucht gewesen ist, vielleicht 15-20 Grad südlich des Paläo-Äquators.
Die Welt jener Zeit erhält noch weitere Konturen dadurch, dass die ordovizischen Schichten hier und da von der präkambrischen unregelmäßigen Basis durchbrochen werden. Es sind bereits recht weit unterhalb der heutigen Erdoberfläche stark verwitterte Paragneise des kanadischen Schildes, Grenville-Supergroup genannt nach einer Provinz. Man kann also davon ausgehen, dass dies einmal vegetationslose Inseln im Bobcaygeon-Meer gewesen sind.
Gelegentlich muss es allerdings Stürme gegeben haben, die heftige Strömungen auslösten und zu begrenzten Katastrophen führten - Strömungen, die die Seelilien-Felder abrasierten, die Trilobiten wegspülten und heimatlos machten und die Sedimentation unterbrachen, bis sich das Gebiet wieder erholte.
In diesen Schichten finden sich dann - beispielsweise in den oberen drei bis vier Metern der Bobcaygeon-Formation - sogenannte "Hardgrounds" mit etwas unregelmäßiger Oberfläche, die aber durch später einfließende Sedimente dann wieder abgeflacht wird. Diese Hartgründe entstanden durch Zementierung des Calciumcarbonats bei langen Intervallen mit fehlender Sedimentation.
In solchen Phasen war es ungemütlicher - aber "erfinderisch", wie die "Natur" nun mal ist, gediehen vor allem Crinoiden mit extrem kurzen Stämmen - etwa 1,5 cm -, nämlich Hybocystites, die sich sozusagen unter den Stürmen und Strömungen wegducken und das Biotop in gewissem Rahmen aufrecht erhalten konnten.
Die Trilobiten dürften es schwerer gehabt haben, denn als Sedimentfresser waren sie viel substratabhängiger als zum Beispiel die filtrierenden Brachiopoden.
Der geologische Befund in der mittleren Verulam-Formation deutet auf eine Veränderung der Umweltbedingungen hin: Da handelt es sich um ein tiefes Schelf-Gebiet, das erst in der oberen Verulam-Formation erneut von einem Flachmeer abgelöst wird. Carlton Brett und Wendy Taylor meinen in dem Buch "Fossil Crinoids", dass es einen Wechsel von Transgressionen und Regressionen gegeben hat. Auswirkungen dieser langfristigen Vorgänge auf die Tierwelt sind aber in der hier besprochenen relativ engen Zeitphase an der Wende Bobcaygeon/Verulam noch nicht zu erkennen.
Danach schon: Denn es zeigt sich eine Crinoidenlücke, die erst wieder an der Grenze der Verulam-Formation zu der darüber liegenden Lindsay-Formation geschlossen wird. Crinoiden sind grundsätzlich in größeren Schelftiefen weniger verbreitet, ebenso wie z. B. Bryozoen. Für die Lebewelt jener gemütlichen Bucht jedenfalls war die märchenhafte Zeit vorbei…
Rarer Trilobit Calyptaulax sp., leider nicht ganz vollständig - und trotzdem schön...
Unten: Kleiner Calyptaulax-Kopf, eingebettet in ein Stück ordivizischen Meeresbodens,
vergesellschaftet u.a. mit Schnecken und Brachiopoden.